Antler III (De Novo)


Badel/Sarbach
https://badelsarbach.com
Flurina Badel 1983, Lavin und Jérémie Sarbach 1991, Binn

Skulptur Polyurethan, Holzstab – 270 cm × 100 cm – 2016
«Antler» (Geweih) ist eine Skulptur aus dem Video De Novo.
Gekauft 2020 vom Künstlerpaar.


Das Künstler-Paar

Das Künstlerpaar Flurina Badel und Jérémie Sarbach habe ich 2020 an der „The Human Cactus“ Gruppenausstellung in der Curuna Ardez kennengelernt. Auch privat ein Paar, wohnen und arbeiten sie in einem alten Unterengadiner Haus mitten in Guarda (GR).

Badel/Sarbach sind international tätige Künstler (mit Ausstellungen und Arbeitsaufenthalten unter anderem in Montreal, New York, Seoul, Wien und Berlin) und zugleich auch lokal verankerte Bergler. Sie versorgen sich aus dem eigenen Garten, aus der Natur und von der Jagd. Kennengelernt haben sich die beiden 2014 am Institut Kunst der FHNW in Basel und arbeiten seitdem im Duo. Das künstlerische Werk von Badel/Sarbach ist medial vielseitig und umfasst raumgreifende Installationen, Skulptur, Fotografie, Video, Sound und Performance. Sie beschäftigen sich mit Themen wie der Veränderung/Konstruktion von Landschaft sowie der Frage nach dem Verhältnis zwischen Natur und Kultur im Anthropozän und in neuen Kommunikationsformen. Humorvoll, kritisch und subversiv behandeln sie dies an der Schnittstelle von analoger und digitaler Welt und jenseits der Grenzen zwischen verschiedenen Spezies. Unheimlich spannend!

Der Ausdruck Anthropozän ist ein Vorschlag zur Benennung einer neue geochronologischen Epoche: nämlich des Zeitalters, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist.


Meine Skulptur-Betrachtung

Ein Hirschgeweih hängt als Trophäe in jedem «richtigen» Bündner oder Walliser Haushalt. Aber aus Fingern? Irgendwie anziehend und doch eine furchteinflössende Vorstellung. Die Hand stellt ein entscheidendes Puzzleteil in der Evolution dar. Sie hat dem Menschen die Möglichkeit gegeben, die Natur entscheidend zu beeinflussen und zu kopieren. Die Transformation zwischen den Kreaturen ist ein humanoider Vorstellungs- und Willensakt, der weltweit verbreitet ist und zu Mischwesen und Hybriden führt. Zuerst waren es die Tiere. Die Zukunft ist der Roboter. Wünscht sich das auch der Hirsch?


Fragen an das Künstlerpaar

Flurina, welchen Teil von Jérémie würdest du dir gerne einpflanzen?

Bei Jérémie sprühen die Funken, er hat eine starke Antriebskraft, die unsere Ideen rasch zum Zünden bringt. Das schätze ich sehr an ihm. Zudem seine Schlagfertigkeit und seinen geistreichen, feinen Sinn für Humor. Das gibt unserer Zusammenarbeit Tempo, macht sie spielerisch und hochenergetisch. Manchmal knallts, das ist grossartig. Aber eigentlich möchte ich mir diesen Teil von ihm nicht einpflanzen. Dann könnten wir uns wohl nicht mehr so schön gegenseitig hochschaukeln oder erden und stundenlang zu zweit in einem Arbeitsflow verweilen.

Jérémie, welchen Teil von Flurina würdest du dir gerne einpflanzen?

Einpflanzen? Nur wenn das bedeutet, dass dieser Teil bei Flurina nicht ausgepflanzt wird. Dann eher wie bei der Rosenzüchtung. Gerne hätte ich einen jungen Trieb von Flurinas unglaublichem feinsensorischem poetischem Blick auf das Leben und die Welt; diesen könnte man bei mir aufpfropfen und wachsen lassen. So bleibt Flurina komplett, wie ich sie als Partnerin und Lebensgefährtin schätze. Grade die Unterschiede zwischen uns sind das Spannende für die Zusammenarbeit. Daran würde ich gar nichts ändern wollen. Gerade gestern habe ich in einem Skizzenbuch von uns einen provisorischen Werktitel wiedergelesen: «La différence, c’est un dialogue.» Das passt sehr gut.

Was bedeutet Transformation für euch?

Auf unser künstlerisches Schaffen bezogen bedeutet «Transformation» für uns, dass wir uns der Komplexität der Welt stellen, indem wir bestehende Ansichten, Meinungen, Ideen, Erkenntnisse, Dinge durch unsere eigenen Beobachtungen, Erfahrungen und Gedanken ergänzen. Diese neuen Verknüpfungen bringen wir dann in eine Form. Meistens entsteht so ein mehrteiliger Werkzyklus, den wir dann ausstellen und der wieder eine Situation schafft, von der aus wir weiter transformieren.


Erklärungen zum Werk (Fotos und Texte von Badel/Sarbach)

Hirsch-Kulturlandschaft

Jeden Frühsommer fegt sich der Hirsch seinen Bast vom Geweih. Rhythmisch reibt er sich an den jungen Bäumen, bis die letzten Bastfetzen sich gelöst haben. Die Bäumchen gehen ein, der Wald überaltert, die alten Bäume fallen weg und es entstehen neue Freiflächen, Freiflächen auf denen Gras wächst. Über Generationen schaffen sich die Hische so eine eigene Landschaft, gestalten und verändern sie zu ihren Gunsten. Der Begriff Kulturlandschaft und seine anthropozentrische Bedeutung wird auf eine andere Spezies umgedeutet.
Videostill aus De Novo

Finger

Alle Figuren in De Novo sind aus Fingern zusammengesetzt, zudem finden sich verschiedene Konstellationen von Fingern auf Fahnen sowie Spielkarten. Sie verweisen darauf, was Menschen mit seinen Händen tut, auf Handlung. Die Protagonisten stellen in De Novo Handelnde dar, sind jedoch in dieser Handlung erstarrt. Sie sind, was sie tun, und sind es doch nicht, da sie nichts tun.
In der Projektion werden die Finger zu an die Wand geworfenen Lichtbildern und können auf die ersten Schattenbilder verweisen die, erzeugt durch Hände und dahinterliegendes Feuer, auf Höhlenwände projiziert wurden. Die Hände verknoten, verrenken und verformen sich im Versuch, das Bild an der Wand verständlich darzustellen, und sehen diesem doch nicht ähnlich.
In De Novo werden diese Hände selbst flachgedrückt und erscheinen auf der Wand. Eine vermeintliche Deckungsgleichheit, ein digitales Höhengleichnis (frei nach Platon).

Hauttonfarbe

Die Figuren in De Novo tragen alle denselben künstlichen, blassrosa, fleischkäsigen Hautfarbton. Die Farbe, die auch heute noch im Farbkasten unter "Hautfarbe" zu finden ist (zum Beispiel bei Faber Castell oder Caran dÀche). Diese normierte Farbe ist Teil des postkolonialen Diskurses. Die Ein-Farbigkeit der Figuren unterstreicht, dass wir, obwohl wir empathisch sind, andere Menschen und auch Tiere nur aus unserer eigenen Perspektive wahrnehmen können und diese auf andere projiziern. Unsere gemeinsame Geschichte schafft eine Wirklichkeit, die von ihr durchdrungen ist und zum Beispiel im Farbkasten zu entdecken ist.

Weitere Skulptur vom Künstlerpaar aus De Novo

Climber (De Novo) 2016, Skulptur Polyurethan 40 cm x 30 cm, Videostill aus De Novo
Erklärungen zum Werk (Foto und Text von Badel/Sarbach)

Berglandschaft

Ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Auseinandersetzung mit den Bergen. Sie sind Thema und Schauplatz, Ort der Reflexion und Inspiration. Dabei stellen wir zum Beispiel den Tourismus im alpinen Raum in den Kontext des Diskurses um (Post-)Kolonialismus. Den Versuch, "Bergidylle" zu schaffen und zu verkaufen, verbinden wir mit aktuellen reaktionären Bewegungen, die Identität durch den Rückzug auf vermeintlich eigene und nationale Werte zu konstruieren versuchen. Und angesichts der immer umfassender werdenden Spekulation mit Häusern in Bergdörfern stellen wir soziologische Fragen zu Kapitalismus und Gentrifizierung und thematisieren dabei die Zentralität des Marktprinzips und die Folgen für die Lebenswelten der Peripherie. Alles wird begleitet von einem beständigen Nachdenken über Formen von Naturkultur (frei nach Donna Haraway).

In De Novo haben wir neben der Eislandschaft und der stilisierten Wüstenlandschaft der Berglandschaft auch als exemplarische Landschaft gewählt, die für das Erhabene und für einen Sehnsuchtsort steht. Landschaft ist dabei ein Konstrukt, das in den Köpfen der Betrachtenden entsteht und nicht in der Umwelt zu finden ist (frei nach Lucius Burckhardt). Diesen Prozess der Bedeutungs-Konstruktion haben wir für De Novo wörtlich genommen und haben modelliert, abgegossen, digitial arrangiert und animiert. Die Betrachtenden sehen ein Panorama, das Erhabenheit auslösen soll. Vielleicht rührt dieses Gefühl aber nicht vom nostalgischen Bergmotiv her, sondern von seiner virtuellen Konstruktion, seinem digitalen Selbst, welches in der Undurchsichtigkeit und Unermesslichkeit seiner Daten ebenfalls eine Quelle des Erhabenen sein kann.