Bite (Chicken)


Badel/Sarbach
https://badelsarbach.com
Flurina Badel 1983, Lavin, und Jérémie Sarbach 1991, Binn

Skulptur (Acrystal, Acrylfarbe) – naturgetreu – 2018
Edition 5/5
Gekauft vom Künstlerpaar
Einleitung zu «Bite» von Badel/Sarbach (4. Newsletter Mai 2021)


Bite (Chicken)

Meine Apfel-Betrachtung

Anita ist das Obstwerk beim Atelierbesuch bei Badel/Sarbach in Guarda ans Herz gewachsen. So habe ich ein paar Wochen später das Künstlerduo kontaktiert und das Werk erworben, um den Apfel meiner Liebsten zum Geburtstag zu schenken. Es ist eine wunderbare Geschichte, wenn man sich als Sammler-Paar mit Kunstwerken gegenseitig eine gemeinsame Freude machen kann. Für mich sind Kunstgaben die schönste Geste der Aufmerksamkeit und bei uns «geht Liebe durch die Kunst».

Als Liebespaar gemeinsam Kunst machen zu können, ist grossartig. Wie sich das für Flurina und Jérémie anfühlt, könnt ihr bei «Fragen an das Künstlerpaar» bei der Besprechung der Skulptur «Antler III (De Novo)» nachlesen.

Flurina schreibt: «Es war eines der Hühner, die in den wärmeren Monaten immer frei in Guarda herumlaufen. Es sind stattliche Huhn-Exemplare und dieses war etwas beleidigt, als wir ihm den Apfel wieder weggenommen haben ...». In den Augen der Künstlerin war das Werk wohl noch nicht fertig und die Entrüstung des Huhns verständlich. Wie hätte die vollendete Hieroglyphe wohl ausgesehen? Wie sieht Tierkunst aus?

Im Werk von Badel/Sarbach findet ihr noch weitere Arbeiten mit bzw. über andere Tiere wie Blattläuse, Murmeltiere usw. Eine davon habe ich bereits in der Sammlung vorgestellt: das Hirschgeweih («Antler III aus dem Video De Novo»).

Durch den Biss in den Apfel hat der Mensch das Paradies und seine Unschuld verloren. Zu jener Zeit und noch lange später wurde der Apfel als giftig und ungesund angesehen. Es galt Hippokrates‘ Theorie, der zufolge im menschlichen Körper vier verschiedene Flüssigkeiten (Elemente) produziert werden: Blut (Luft), Schleim (Wasser) sowie gelbe und schwarze Galle (Feuer und Erde). Wenn ein Mensch krank war, wurde angenommen, dass diese vier Säfte aus dem Gleichgewicht geraten waren. Diese Ansichten veränderten sich im Lauf der Geschichte und seine heutige Wertschätzung in der modernen Ernährungswissenschaft verdankt der Apfel unter anderem der Bedeutung der in ihm enthaltenen Vitamine. Im Zuge dieser Aufwertung des Apfels wurde die angebissene Paradiesfrucht gar zum Logo der wertvollsten Weltmarke (Marktwert über 250 Milliarden US-Dollar).

Das Muster auf dem Apfel erinnert an eine Lochkarte, wie sie früher in der Datenverarbeitung verwendet wurden, und deutet das tierische Leistungspotenzial an. Werden auch die Tiere einmal smart und vernetzt sein?


Bite (Chicken)

Die «Bite»- Gedanken von Badel/Sarbach

«Bite» begleitet uns schon seit 2018 und immer wenn sich die Gelegenheit bietet, entsteht eine neue Skulptur für die Serie. Für die Umsetzung der Skulpturen sind wir nämlich auf die Mitarbeit von Tieren angewiesen. Die «Bites» entstehen so in einer Art Tauschhandel: Wir geben verschiedenen anderen Tieren mehrere Äpfel zu essen und entnehmen dem Festmahl nach einer Weile wieder einen Apfel, in den das Tier nur einmal oder wenige Male gebissen hat. Unsere künstlerische Geste ist das Anbieten und Zurücknehmen des Apfels.

Der Apfel ist eine historisch aufgeladene Frucht. So kennt in Europa wohl jeder die biblische Geschichte vom «Apfel der Erkenntnis» im Paradies mit der Schlange, die den Apfel, ganz ähnlich wie wir, einer anderen Spezies anbietet und diese verführt, an ihm zu knabbern. Diese Aspekte schwingen im Werk «Bite» mit, wobei wir aber auf den Apfel als Symbol der Erkenntnis bzw. des Wissens und auf die performative Geste fokussieren.

So gestehen wir durch die freundschaftliche Geste des Anbietens eines Apfels auch anderen, nicht menschlichen Lebewesen Wissen, Erkenntnis, Kultur und Technik zu. Sie beissen in denselben Apfel, jedoch ohne Konzepte von Schuld und Herrschaft. Wir untersuchen durch unsere künstlerische Arbeit, was eine gemeinsame Welt mit all ihren Mischformen von menschlicher sowie anderen tierischen, pflanzlichen, pilzlichen und bakteriellen Kulturen für uns bedeutet.

Des Weiteren handelt es sich bei der Skulptur um einen Abguss eines angebissenen Apfels. Also um ein Überbleibsel einer Begegnung, eines Austausches und einer Performance. Der gefressene Teil des echten Apfels bleibt beim Tier, wird zu seinem Körper. Was wir bekommen, ist die (Beiss-)Spur dieses Aktes. Durch das herausgetrennte Volumen des Apfels sind die Betrachter*innen gedanklich mit den verschiedenen Tieren der Serie verbunden. (Mittlerweile umfasst die Serie Hühner, Hunde, Murmeltiere, Ziegen, Mäuse und Schweine.)

In unserer Arbeit ist das Off (bzw. das Abgetrennte, Abwesende) ein wichtiger Raum, auf den wir immer wieder verweisen. Unsere Skulpturen funktionieren dabei als ein Verweis auf gedankliche/konzeptuelle Ideen. Dies wird besonders sichtbar bei den verschiedenen Fruchtwerken, die in den letzten Jahren entstanden sind. So bei den Kiwi-ähnlichen Skulpturen «Train to be a Tribe» (2019), in der Performance Lecture «We, the Foodimals» (2019) und bei der Skulptur «Bananaboat (De Novo)» (2018). Bei all diesen Arbeiten werden Früchte angebissen, angeschnitten oder geschnitzt und so skulptural bearbeitet.

«The Artwork is a Fruit and the Artist is a luminous Tree.» (Frei nach Bruce Naumann)